Ich stehe an dem Bett, an dem eine junge Frau liegt, deren Gesicht nach der Operation gelähmt ist, ihr Mund ist verzogen, wie ein Clown. Ein winziger Zweig des Gesichtsnervs, der zu den Muskeln ihres Mundes führt, ist durchtrennt worden. Sie wird von nun an so sein. Der Chirurg war mit religiöser Inbrunst der Kurve ihres Fleisches gefolgt, das verspreche ich Ihnen. Aber um den Tumor in ihrer Wange zu entfernen, musste ich den kleinen Nerv durchtrennen. Ihr junger Ehemann ist im Zimmer. Er steht auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes, und zusammen scheinen sie im abendlichen Lampenlicht zu verweilen, isoliert von mir, privat. Wer sind sie, frage ich mich, er und dieser schiefe Mund, den ich gemacht habe, die sich so großzügig, so gierig anstarren und berühren? Die junge Frau spricht: "Wird mein Mund immer so sein?", fragt sie. "Ja", sage ich, "das wird er. Das liegt daran, dass der Nerv durchtrennt wurde." Sie nickt und schweigt. Aber der junge Mann lächelt. "Das gefällt mir", sagt er, "das ist irgendwie süß." "Mit einem Mal weiß ich, wer er ist. Ich verstehe und senke meinen Blick. Bei einer Begegnung mit einem Gott ist man nicht kühn. Unachtsam beugt er sich vor, um ihren schiefen Mund zu küssen, und ich bin so nah, dass ich sehen kann, wie er seine eigenen Lippen verzieht, um sich den ihren anzupassen, um ihr zu zeigen, dass ihr Kuss noch funktioniert.

Author: Richard Selzer

Ich stehe an dem Bett, an dem eine junge Frau liegt, deren Gesicht nach der Operation gelähmt ist, ihr Mund ist verzogen, wie ein Clown. Ein winziger Zweig des Gesichtsnervs, der zu den Muskeln ihres Mundes führt, ist durchtrennt worden. Sie wird von nun an so sein. Der Chirurg war mit religiöser Inbrunst der Kurve ihres Fleisches gefolgt, das verspreche ich Ihnen. Aber um den Tumor in ihrer Wange zu entfernen, musste ich den kleinen Nerv durchtrennen. Ihr junger Ehemann ist im Zimmer. Er steht auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes, und zusammen scheinen sie im abendlichen Lampenlicht zu verweilen, isoliert von mir, privat. Wer sind sie, frage ich mich, er und dieser schiefe Mund, den ich gemacht habe, die sich so großzügig, so gierig anstarren und berühren? Die junge Frau spricht: "Wird mein Mund immer so sein?", fragt sie. "Ja", sage ich, "das wird er. Das liegt daran, dass der Nerv durchtrennt wurde." Sie nickt und schweigt. Aber der junge Mann lächelt. "Das gefällt mir", sagt er, "das ist irgendwie süß." "Mit einem Mal weiß ich, wer er ist. Ich verstehe und senke meinen Blick. Bei einer Begegnung mit einem Gott ist man nicht kühn. Unachtsam beugt er sich vor, um ihren schiefen Mund zu küssen, und ich bin so nah, dass ich sehen kann, wie er seine eigenen Lippen verzieht, um sich den ihren anzupassen, um ihr zu zeigen, dass ihr Kuss noch funktioniert. - Richard Selzer<


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