gibt es eine dritte Ebene religiöser Erfahrung, auch wenn sie nur selten in reiner Form anzutreffen ist. Ich werde sie den kosmischen religiösen Sinn nennen. Der Einzelne spürt die Eitelkeit der menschlichen Wünsche und Ziele und den Adel und die wunderbare Ordnung, die sich in der Natur und in der Welt der Gedanken offenbaren. Er empfindet das individuelle Schicksal als Gefangenschaft und sucht die Gesamtheit des Daseins als eine bedeutungsvolle Einheit zu erfahren. Anzeichen dieses kosmischen religiösen Sinns finden sich schon auf früheren Entwicklungsstufen - zum Beispiel in den Psalmen Davids und bei den Propheten. Im Buddhismus ist das kosmische Element viel stärker, wie uns insbesondere Schopenhauers großartige Aufsätze gezeigt haben. Die religiösen Genies aller Zeiten haben sich durch diesen kosmischen religiösen Sinn ausgezeichnet, der weder Dogmen noch einen nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Gott anerkennt. Folglich kann es keine Kirche geben, deren Hauptlehren sich auf die kosmische religiöse Erfahrung stützen. So kommt es, dass wir gerade unter den Häretikern aller Zeiten Männer finden, die von dieser höchsten religiösen Erfahrung beseelt waren; oft erschienen sie ihren Zeitgenossen als Atheisten, manchmal aber auch als Heilige.
